Märkische Allgemeine
MAZ-spezial Sommer, Sonne, Haut, Tattoo
Nightliner Tattoo
Marc D.
Das Talent von Marc D. war schon im Zeichenzirkel der Polytechnischen Oberschule unübersehbar. Damals, zu DDR-Zeiten am Prenzlauer Berg. Nur dass er eines Tages vom Papier zur nackten Haut als Malgrund wechseln würde, hat er damals wohl selbst noch nicht geahnt.
Marc D. (34) gilt heute als einer der bekanntesten Tätowierer der Szene. Angefangen hat bei ihm die Vorliebe für die lebendigen Bilder allerdings dort, wo gängige Vorurteile die Wurzeln der graphischen Körperkunst sehen: im Knast. „Mit 16 oder 17 kam ich da wegen einer Prügelei rein“, erzählt er ohne Umschweife. Mit wackligen blauen Linien und Herz-Anker-Kreuz hat sich Marc D. aber schon damals nicht zufrieden geben wollen. Seinen Eltern zuliebe lernte er zunächst Immobilienkaufmann und Wohnungsverwalter, hat aber nie in dem Job gearbeitet. Auf der ersten Tattoo-Messe in Wende-Zeiten stand für ihn fest: Das mache ich auch.
Vor allem für seine filigran gezeichneten Porträts ist Marc D. deutschlandweit bekannt. In seinen biomechanischen Motiven erkennt man den graphischen Einfluss von Escher bis Dürer und Goya. Mit sicherem Gespür bedient sich Marc D. bei japanischen Sepia-Zeichnungen oder den Radierungen von Gustave Doré, komprimiert Handlungsdramatik auf engem Raum und rahmt all das mit ästhetischer Formensprache ein. Die lebendige Haut ist dabei sein Lieblingsmedium, weil sie seine Bilder um die Welt trägt. Und natürlich bleibt der erklärte Schädel-Fan auch Freunden morbider Düsternis in seinen Motiven nichts schuldig. Sein Studio „Nightliner“ sucht inzwischen sogar Tätowierer.
Marc D. illustrierte das „Sommer“-MAZ-Spezial vom 12. Juli 2007
Unter die Haut
Seit Jahren liegen Tätowierungen im Trend: Motive und Technik werden immer ausgefeilter
Hautärzte warnen trotzdem
Robbie Williams hat eins und Angelina Jolie, Pamela Anderson und Ozzy Osbourne sowieso – und selbst „Ötzi“ hat seine Holzkohle-Tätowierungen über 5000 Jahre im Gletschereis gerettet. Was genau den Tattoo-Trend Mitte der neunziger Jahre ausgelöst hat, ist nicht mehr exakt zu klären. Fakt ist dagegen, dass es kaum ein Volk, kaum eine Kultur auf der Welt gibt, die sich im Laufe der Zeit nicht daran versucht hätte dauerhaften Körperschmuck anzulegen. Die ältesten derzeit bekannten Tätowierungen stammen – von „Ötzi“ einmal abgesehen – von 7000 Jahre alten Mumien, die im Norden Chiles gefunden wurden. Die Skythen trugen derartige Zeichnungen, der Arktisforscher Sir Martin Frobisher traf 1578 Eskimo-Frauen mit Tattoos, und 2000 Jahre alte Körperbilder einer ägyptischen Prinzessinnen-Mumie sorgten in den 20er Jahren für Aufsehen. Dass viele den Ursprung der Hautmalereien trotzdem in Polynesien suchen, dürfte an dem legendären Seefahrer James Cook liegen, der 1774 den Polynesier Omai mit nach Europa brachte und ihn und seine Tätowierungen bereitwillig ausstellte.
Ob das Wort „tätowieren“ tatsächlich vom polynesischen „tatau“ abgeleitet ist, ist deshalb ebenso wenig gesichert. Unverkennbar ist dagegen, dass die lebenslange Zeichnung des eigenen Körpers bis heute ihre Faszination auf viele Zeitgenoss(inn)en ausübt. „Das Tätowieren ist längst aus den einschlägigen Milieus heraus“, sagt Martin Barners, Chefredakteur von „Tattoo-Spirit und Piercing“. Und: „Tattoo ist Kunst.“ Im Gleichschritt mit der immer besseren Technik werden die Linien exakter und feiner, Schattierungen und Farben fügen sich präziser dem Willen des Tätowierers. Selbst anspruchsvolle realistische Porträts werden heute in beachtlicher Qualität gestochen, schwärmt Barners. „Und wenn man bedenkt, dass man beim Tattoo meist keine zweite Chance hat, wenn etwas schief geht, wächst die Hochachtung vor den Künstler noch.“
„Ich nenne es Steiß-Tribal“, sagt Miss Nico vom Berliner Allstyle Tattoo-Studio und meint das umgangssprachliche „Arschgeweih“. Sie will die Träger solcher Ornamente in der unteren Rückenpartie nicht lächerlich machen. Verzierungen wie diese gehören zur Tattoo-Gattung der „Tribals“ (Stammeszeichen) und stehen besonders hoch im Kurs. Sie zeichnen sich in der Regel durch ihre präzise Symmetrie aus. Die so genannte „Old School“ beschreibt klassische Motive wie Herz, Anker, Schwert, Rose oder Kreuz. Mit dem Begriff „New School“ sind vergleichbar einfache Piktogramme aus neueren Zusammenhängen (von Disney bis Comic u.a.) gemeint. Die opulente asiatische Bilderwelt mit Drachen und vielen Ornamenten ist eine Sparte für sich, genauso wie „Realistik“ (getreue Abbilder) oder „Biomechanik“ wo sich wild-wüst-wunderliche Fantasy-Welten auftun oder gar geöffnete Körper im Stil der Trompe-l’œil-Malerei (frz.: das getäuschte Auge).
So hinreißend die Motive auch sein mögen, viele Hautärzte wie die Berliner Dermatologin Elena Peters können sich noch immer nicht mit dieser Art der „kosmetischen Körperverletzung“ abfinden. „Es kann einerseits zu unabsehbaren allergischen Reaktionen kommen, andererseits werden mitunter Keime in die Haut eingetragen, deren spätere Entzündung zu lebenslang sichtbaren Narben führen“, sagt sie. „Oft an genau den Stellen, die man eigentlich verzieren wollte.“ Dass für die Behandlung der gesundheitlichen Folgen die Krankenkassen aufkommen, mithin die Gemeinschaft der Versicherten zahlt, was der Einzelne verzapft hat, ist da nur ein Nebeneffekt.
In der Tattoo-Branche verweist man dagegen auf das dichte Netz staatlicher Kontrollen. So prüfen die Gesundheitsämter regelmäßig die Einhaltung der Hygienevorschriften, Verwendung von Einwegnadeln und -Handschuhen, Vorhandensein von Sterilisatoren, auch werden Sporentests durchgeführt. Für die Tätowierfarben gibt es EU-Richtlinien, sie unterliegen dem „Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständegesetz“ (LFBG) und werden regelmäßig untersucht. Im „Deutsche organisierte Tätowierer e.V.“ (DOT) wird inzwischen professionelle Lobby-Arbeit für das eigene Gewerbe betrieben. Der europäische Dachverband „United European Tattoo Artists“ (UETA) wird sogar in Brüssel vorstellig. Und dass Tattoo-Studios Pflichtbeiträge an die Industrie- und Handelskammern abführen müssen, versteht sich fast schon von selbst.
Bericht vom 12.07.2007 MAZ-spezial
Text: Ralf Schuler